Sieben Euro für ein besseres Leben
Kommendes Jahr werden die Hartz-IV-Sätze erhöht. Experten aus der Region sehen die neuen Beträge kritisch.
Wunsiedel - Zwei Cappuccinos in einem Café, vier Leberkäs-Semmeln oder zwei günstige Döner. Mit sieben Euro im Geldbeutel kann man einerseits einiges anfangen, andererseits reicht es bei alltäglichen Einkäufen im Supermarkt oder beim Discounter nicht lange. Um sieben Euro hat die Bundesregierung vor wenigen Wochen die Hartz-IV-Sätze ab kommendem Jahr erhöht. So steigt zum Beispiel der Regelsatz für einen Alleinstehenden von bisher 432 auf künftig 439 Euro. Wir haben bei heimischen Experten nachgefragt, wie sie die Erhöhung beurteilen.
"Sofern stetig Renten, der Mindestlohn und Pfändungsfreigrenzen erhöht werden, um zumindest den Mindestlebensstandard sicherstellen zu können, müssen auch Sozialleistungen angepasst werden. Inwieweit diese angemessen sind, kann und möchte ich gar nicht beurteilen, denn das, was der eine als angemessen erachtet, hält der andere für nicht gerechtfertigt oder ungerecht", sagt Adeline Baumgärtel, Schuldnerberaterin des BRK-Kreisverbandes. Unabdingbar sei aber eine Anpassung der Kosten für Unterkunft und Heizung. "Die Mieten, auch hier im Landkreis, steigen. Klienten, die Sozialleistungen entgegennehmen, finden keinen adäquaten Wohnraum. Lebensqualität ist aber stark abhängig von Wohnqualität. Genau daran scheitere es bei vielen SGB II-Empfängern. "Die Ausstattung und der Zustand vieler ,Sozial-Wohnungen' ist katastrophal. Ist der Kaltmietpreis noch akzeptabel, sind es die Nebenkosten, die stark zu Buche schlagen. Heizen mit Strom ist ein Thema für viele Hartz-IV-Empfänger, da noch in vielen Wohnungen Nachtspeicheröfen eingebaut sind und das Warmwasser über Boiler bereitgestellt wird.
"Für nicht bedarfsgerecht hält VdK-Vorsitzender und Kreis-Seniorenbeauftragter Konrad Scharnagl die Erhöhung um sieben Euro. "Ich kritisiere, dass sich der Bedarf an den Lebensumständen eines gesunden 30 Jahre alten Mannes orientiert. Gerade ältere Menschen haben aber höhere Kosten für Mobilität und Gesundheit. "Laut Scharnagl soll die Grundsicherung die gesellschaftliche Teilhabe ermöglichen, etwa beider Bildung und der Kommunikation. Diesen Anspruch hält er mit den derzeitigen und künftigen Hartz-IV Sätzen für nicht realistisch. "Immerhin müssen Betroffene auch noch Rücklagen bilden, falls mal der Kühlschrank oder die Waschmaschine kaputt gehen.
"Schuldnerberaterin Adeline Baumgärtel befürchtet, dass in der Folgeder Corona-Krise auch die Zahl der Hartz-IV-Empfänger in der Region steigen wird. "Viele Firmen scheuen sich, Neueinstellungen vorzunehmen oder befristete Verträge auf Grund der unklaren Wirtschaftslage zu verlängern oder in unbefristete Verträge übergehen zu lassen. Die Zahl der Klienten, die berichten, dass es derzeit unmöglich ist, Arbeit zufinden, steigt. Daher gehe ich davon aus, dass auch die Zahl der SGB II Empfänger steigen wird.
"Unabhängig von Hartz-IV werden die Klientenzahlen in die Höhe schnellen, prognostiziert Adeline Baumgärtel. "Bereits jetzt erreichen uns Hilferufe, dass Ratenzahlungen an Kreditgeber, die vor der Corona-Krise abgeschlossen und geleistet werden konnten, durch anhaltende Kurzarbeit nicht mehr haltbar sind.
"Wer Hartz-IV-Empfänger ist und zusätzlich noch auf einem Berg Schulden sitzt, dem nützt wahrscheinlich auch ein Sieben-Euro-Aufschlag wenig. Als letzte Möglichkeit, irgendwann ein schuldenfreies Leben führen zu können, bleibt meist nur die Privatinsolvenz. Ganzso eindeutig sieht dies Adeline Baumgärtel nicht. "Grundsätzlich wird niemand in eine Insolvenz gedrängt. Die Zahl derer, die bereits im ersten Beratungsgespräch ein Insolvenzverfahren kategorisch ablehnen und auf außergerichtliche Lösungen hoffen, steigt von Jahr zu Jahr. Auch SGB II-Empfängern ist die Möglichkeit gegeben, außergerichtlich mit unserer Hilfe vorzugehen. Dies nehmen immer mehr in Anspruch. "Wobei hier die Gesamtverschuldungssumme eine große Rolle spiele. Je höher die Verschuldungssumme, umso schwieriger und zeitaufwendiger sei eine außergerichtliche Regulierung. "Dies gilt aber ebenso für Gehaltsempfänger. Die Insolvenz bietet für viele den Vorteil eines überschaubaren Zeitrahmens. Und mit den in Aussicht stehenden Änderungen der Insolvenzordnung wird der Zeitrahmen bald nur noch so gering sein, dass langwierige außergerichtliche Ratenzahlungen im Gegensatz zur kurzen Insolvenzzeit unattraktiv werden." Derzeit dauert eine Privatinsolvenz sechs Jahre. Wenn der Schuldner innerhalb von drei Jahren mindestens 35 Prozent der Gesamtschuld sowie die Verfahrenskosten erstatten kann, kann die Privatinsolvenz auf drei Jahre gekürzt werden. Wer ab 1. Oktober eine Privatinsolvenz beantragt, muss nur noch ein dreijähriges Verfahren bis zur Restschuldbefreiung durchstehen.