Rotes Kreuz sieht "stille Katastrophe"
Seit fünf Jahren unterstützt die Hilfsorganisation im Landkreis bedürftige Menschen. Immer wieder statten die Helfer auch Obdachlose mit frischer Kleidung aus.
Wunsiedel - Die alte Frau schämt sich. Erst nach Minuten ist sie in der Lage zu sagen, was sie bedrückt: Ihr Herd ist kaputtgegangen. Einen neuen kann sie sich beim besten Willen nicht leisten. Also wird es an Weihnachten vermutlich kein warmes Essen geben. Es sind Fälle wie dieser, die Thomas Ulbrich nicht loslassen. Der Kreisgeschäftsführer des Roten Kreuzes kennt viele ähnliche Schicksale. Da ist die alleinerziehende Mutter, deren Tochter mit durchgelaufenen Schuhen im BRK-Laden "Henry" steht. Oder der obdachlose Mann, der eine neue Hose benötigt.
"Von der Öffentlichkeit kaum bemerkt, spielt sich in der Weihnachtszeit eine stille Katastrophe ab. Besonders betroffen sind ältere Menschen, Kranke, Familien mit Kindern und Alleinerziehende", sagt Ulbrich. Seit fünf Jahren helfe das Rote Kreuz unbürokratisch und still in Notlagen aus. Doch jetzt wolle er an die Öffentlichkeit gehen, damit die Menschen wissen, was sich hinter so mancher Haustüre abspiele. "Ganz ehrlich, ich selbst habe mir nicht vorstellen können, dass es Familien gibt, die im Winter nur einen Raum heizen, weil sie kein Geld haben oder dass ältere Leute, die ein Leben lang gearbeitet haben, nicht genug Rente haben, um sich einen neuen Kühlschrank oder Herd zu kaufen."
Viele Menschen kennen das Rote Kreuz lediglich als Organisation, deren Rettungswagen mit Blaulicht durch die Gegend fahren, um Verletzten oder Kranken zu helfen. Doch seit Jahren betreibt das BRK im Landkreis - weitgehend unbemerkt - eine Schuldnerberatung, den Laden "Henry" oder eben die unbürokratische Nothilfe.
Ulbrich sieht die Schere zwischen reichen und armen Menschen in Deutschland immer weiter auseinanderklaffen. Da gibt es jene, die nicht wissen, wie sie sich ein warmes Essen leisten können. "Und auf der anderen Seite fahren wir immer mehr junge Menschen mit dem Rettungswagen, die vor lauter Stress in ihrer Arbeit einen Herzinfarkt oder Schlaganfall erleiden. Da passt etwas nicht mehr in der Gesellschaft", sagt der Kreisgeschäftsführer. Gegen den Dauerstress und die steigenden Anforderungen in vielen Betrieben kann das BRK schwerlich etwas unternehmen. Den Armen allerdings kann die Organisation zumindest ein wenig den Alltag aufhellen. "Wir arbeiten eng mit der Sozialhilfebehörde im Landratsamt zusammen. Natürlich ist es uns wichtig, dass wir auch wirklich Hilfebedürftige unterstützen."
Immer wieder erleben die Mitarbeiter des "Henry" die Armut in der Region. Seit sieben Jahren gibt es das kleine Sozial-Kaufhaus in der Ludwig-Thoma-Straße in Marktredwitz. Brachten die Menschen in der Region früher überwiegend altes Porzellan, ist es jetzt Kleidung - meist in sehr guter Qualität. "Das ist sinnvoll. Wir wollen, dass sich hier jeder Mensch für wenig Geld ordentlich kleiden kann", sagt Ulbrich. Dank Spenden ist es dem BRK möglich, in dringenden Fällen mal einen günstigen Kühlschrank für Bedürftige anzuschaffen oder die Gebühr für den Kindergarten zu zahlen, wenn eine Alleinerziehende nichts mehr auf dem Konto hat. "Wichtig ist, dass die Kinder nicht unter der Armut zu leiden haben. Daher bezahlen wir auch mal Nachhilfe. Denn wenn schon die Kleinen in der Schule abgehängt werden, dann ändert sich an der Armutsspirale nie etwas."
Groß an die Glocke will Ulbrich die Hilfen nicht hängen. "Klar könnten wir uns hinstellen und einem armen Menschen etwas in die Hand drücken. Doch damit würden wir die Leute in die Öffentlichkeit zerren." Lieber helfen die Mitarbeiter des BRK im Stillen und unbürokratisch. "Zwischen 35 und 60 Menschen pro Jahr unterstützen wir bisher." Dazu kommen immer häufiger durchreisende Obdachlose, die schlicht eine Garnitur frische Kleidung erhalten. Gerade jetzt vor Weihnachten appelliert Ulbrich an die Menschlichkeit: "Es geht einfach darum, dass in einem Land wie Deutschland zumindest eine beheizte Wohnung, ein warmes Essen und Bildung für alle möglich sein sollten."
Autor: Frankenpost, Matthias Bäumler