Erste Beratungsstelle für Queere im Landkreis
Als einziger Sozialverband in Oberfranken bietet das Rote Kreuz Hilfe speziell für Lesben, Schwule, Bisexuelle, Queere, trans-, inter- und asexuelle Menschen an. Der Bedarf ist laut Psychologin Theresa Aures größer, als zunächst erwartet.
Marktredwitz/WunsiedelEigentlich sollte es die Beratungsstelle „Queerbeet“ nicht geben müssen. In Deutschland im 21. Jahrhundert kann offiziell jeder so leben, wie er will, wenn er sich an Recht und Gesetz hält. Die sexuelle Orientierung? Völlig egal. Trotz aller Bekenntnisse zur Toleranz führen dennoch nach wie vor viele Menschen ein für sie falsches Leben. Der Kreisverband Wunsiedel des Roten Kreuzes will genau hier ansetzen und Betroffenen aus der sogenannten LSBT*IQA-Community beistehen. Die Abkürzung steht für Lesben, Schwule, Bisexuelle, trans*, intergeschlechtliche, queere und asexuelle Personen. Seit wenigen Tagen gibt es die erste offizielle Beratungsstelle für diese Zielgruppe in Oberfranken. „Letztlich handelt es sich um Personen, die durch die restliche Beratungslandschaft oft nicht abgedeckt werden können oder die befürchten, nicht angenommen zu werden“, sagt Theresa Aures. Die Psychologin leitet die Beratungsstelle „Queerbeet“.
Vorreiter in Bayern
Mit dem Angebot ist der BRK-Kreisverband Wunsiedel bayernweit Vorreiter. „Wir haben uns vor einiger Zeit mit dem Umfeld in der Region beschäftigt und gefragt, ob es Bereiche gibt, die nicht von Hilfsangeboten abgedeckt werden. Dabei kamen uns Menschen aus der queeren Community in den Sinn. Sie finden schlicht keine Unterstützung. Theresa Aures erstellte daraufhin eine Marktanalyse und erarbeitete das Konzept“, schildert BRK-Kreisgeschäftsführer Thomas Ulbrich im Gespräch mit unserer Zeitung die Intention für den Aufbau der neuen Beratungsstelle.
Riesiger Bedarf auch in Oberfranken
Wie groß der Bedarf ist, zeigt sich wenige Tage, nachdem die Pläne für „Queerbeet“ intern bekannt sind. „Es liegen bereits die ersten Anmeldungen vor, obwohl wir mit unserem Angebot noch gar nicht an die Öffentlichkeit getreten sind“, sagt Theresa Aures. Die Psychologin hat sich während ihres Studiums intensiv mit Community Psychology und Diversitätstheorien befasst. „Eines ist klar: Queere Lebenswelten sind kein Modethema. In allen Kulturkreisen, in allen Epochen, egal, ob im Römischen Reich oder bei den alten Griechen gab es queere Menschen. Deshalb ist es an der Zeit, die Szene gelassen zu sehen und zu lernen, dass sie ganz natürlich ist.“ Bis dies der Fall sein wird, ist noch ein weiter Weg zurückzulegen. Dies zeigen die teils furchtbaren alltäglichen Erfahrungen queerer Menschen: Diskriminierung am Arbeitsplatz, Psychoterror, Angst und Gewalt prägen häufig ihr Leben. „Unser Anspruch ist es daher, auch in Schulen, Vereinen oder Unternehmen aufzuklären.“
In erster Linie stehen Theresa Aures und eine weitere Mitarbeiterin den Betroffenen bei und helfen mit professionellem Rat. Therapien oder medizinische Unterstützung gehören nicht zu ihren Aufgaben, diese können sie jedoch vermitteln. „Glücklicherweise öffnet sich unsere Gesellschaft immer mehr, und es ist kein Tabu mehr, sich zu outen. Trotzdem darf man nicht unterschätzen, dass es in einer ländlichen Region wie unserer doch anders ist als beispielsweise in Berlin.“ So stehe das Outing häufig am Ende eines langen Leidensweges mit heftigen Selbstzweifeln oder auch Depressionen. Wie reagiert der Partner? Wie verhalten sich die Arbeitskollegen oder die Freunde im Verein und am Stammtisch? Fragen, die Menschen im schlimmsten Fall ein Leben lang quälen, ohne dass sie sie je beantworten können. Zu sehr zermürbt sie die Angst.
Auch Angehörige und Partner im Blick
Hier kommt „Queerbeet“ ins Spiel. „Wir sind für Betroffene ebenso da wie für deren Partner oder Angehörige und suchen nach Wegen, damit die Menschen ein authentisches Leben führen können“, erklärt Theresa Aures. „Auch die Frage nach der Gestaltung des Outings, eine psychologische Begleitung bei möglichen Transitionsprozessen (wenn ein Mann als Frau leben möchte oder umgekehrt) oder Partnerschaftsfragen sind mögliche Themen der Beratung. Es gibt kaum einen Lebensbereich, der nicht betroffen sein kann – so bunt wie die Zielgruppe sind auch die Anliegen.“
Das Ding mit der Namensänderung
So zum Beispiel der Wunsch, seinen Vornamen aufzugeben und im Personalausweis einen seinem eigentlichen Geschlecht angemessenen eintragen zu lassen. „Dies ist nach wie vor für viele Menschen teuer und aufwendig. Lediglich intergeschlechtliche Menschen, also jene, in denen biologisch beide Geschlechter angelegt sind, können einfach so mit einem medizinischen Gutachten zum Standesamt gehen und für 45 Euro den Namen ändern lassen“, erklärt Theresa Aures. Alle übrigen müssen zwei unabhängige Gutachten vorlegen, die bestätigen, dass der Mensch tatsächlich dem Geschlecht angehört, für das er sich entscheidet. Die Gutachten kosten jeweils etwa 2000 Euro, die selbst aufzubringen sind. Letztlich entscheidet ein Richter über den Antrag.
Weniger kompliziert ist der Namenswechsel für Dokumente der Bank, der Krankenkasse und bei Schul- oder Arbeitszeugnissen.
Wissenschaftliche Begleitung
Für Thomas Ulbrich ist Theresa Aures die ideale „Queerbeet“-Beraterin. „Sie brennt für diese Aufgabe – und das ist auch absolut wichtig. Eine Psychologin oder Sozialpädagogin, die die Arbeit einfach mal so mitmacht, würde dieser Aufgabe nicht gerecht.“ Tatsächlich legt sich Theresa Aures sofort ins Zeug, als der Aufbau der Beratungsstelle beim BRK ins Auge gefasst wird. Da sie weit vernetzt ist, schließt sie Kontakte zu Psychologen, Medizinern und allen denkbaren Beratungsstellen. Bislang gibt es in ganz Franken lediglich eine Beratungsstelle, die sich der LSBT*IQA-Community annimmt: Fliederlich in Nürnberg. Dass die BRK-Psychologin auch mit dem Queer-Beauftragten der Bundesregierung kooperiert, versteht sich von selbst. Schließlich gelingt ihr, die Wilhelm-Löhe-Hochschule in Fürth für eine Zusammenarbeit zu gewinnen. „Diese wird unsere Arbeit wissenschaftlich begleiten.“
Beratung auch anonym möglich
Wer bei „Queerbeet“ Hilfe sucht, kann dies auch anonym. „Die Anmeldung ist telefonisch oder online möglich und natürlich kostenfrei. Wir führen zwar eine Statistik, aber registrieren dafür keinen Namen. Darauf kann sich jeder verlassen“, sagt Theresa Aures, die beim BRK zudem die Mitarbeiter psychologisch begleitet. Präsenzberatungen sind in den vier BRK-Häusern in Marktredwitz, Wunsiedel, Selb und Kirchenlamitz möglich. Mittelfristig will das Rote Kreuz ein Beratungsbüro in der Marktredwitzer Innenstadt eröffnen. Ulbrich: „Wir sind für ganz Oberfranken zuständig und auch für die umliegenden Gemeinden in der Oberpfalz offen. Da Marktredwitz der Verkehrsknotenpunkt in der Region ist, halten wir einen Innenstadt-Standort für angemessen.“
Auch wenn die Zuständigen im Sozialministerium sofort Feuer und Flamme für Theresa Aures Idee von der Beratungsstelle für Queere waren und finanzielle Unterstützung zugesagt haben, auch wenn die Glücksspirale eine Anschubfinanzierung gewährt, ist das BRK nach wie vor auf Spenden angewiesen, um das Angebot langfristig halten zu können. „Der Bedarf rechtfertigt dies“, sagt Thomas Ulbrich. In Europa gebe es etwa zehn Prozent nicht-heterosexuelle Menschen. Schließlich gehe es auch um Fachkräftesicherung. „Es gibt in den Unternehmen sicher nicht gerade wenige hervorragende queere Mitarbeiter. Wir alle sollten bestrebt sein, diesen ein Umfeld zu schaffen, in dem sie sich angenommen und nicht diskriminiert fühlen. Nur so ist es möglich, sie langfristig an den Betrieb zu binden.“
Der BRK-Geschäftsführer verhehlt nicht, dass er auch etliche negative Reaktionen auf „Queerbeet“ erhält. „Natürlich spüre ich Gegenwind, das ist klar, vor allem ältere Menschen sind in dieser Hinsicht konservativ geprägt. Aber den Gegenwind halten wir aus. Als BRK ist es unser Auftrag, allen Menschen Hilfe zukommen zu lassen, auch jenen der queeren Community.“
Letztlich sehen die Psychologin und der Geschäftsführer „Queerbeet“ als Bereicherung für den Landkreis Wunsiedel und ein Zeichen für dessen Offenheit und Toleranz. Theresa Aures: „Unsere Beratungsstelle passt hervorragend zum Motto ,Freiraum für Macher’. Zudem sind wir ein Beitrag, Wunsiedel noch bunter zu machen.“
Die Beratungsstelle „Queerbeet“ ist von Montag bis Donnerstag in der Zeit von 8 bis 12 Uhr und von 14 bis 17 Uhr erreichbar und am Freitag von 8 bis 12 Uhr. Theresa Aures hat die Telefonnummer 09231/962667. Die E-Mail-Adresse lautet: beratungsstelle@kvwunsiedel.brk.de