Der Rettungswagen darf im Notfall über die Grenze
Bayern und Tschechien rücken beim Rettungsdienst enger zusammen. Auch in der
Bekämpfung der Kriminalität wollen die Nachbarn künftig Hand in Hand gehen.
Oberfranken - Die bayerisch-tschechische Grenze wird für die Rettungsdienste durchlässiger: Möglich macht das eine Kooperationsvereinbarung, die Bayerns Innenminister Joachim Herrmann, CSU, am Montag in Karlovy Vary (Karlsbad) unterzeichnet hat. Darin verpflichten sich der Freistaat und die drei tschechischen Bezirke Karlsbad, Pilsen und Südböhmen zum grenzüberschreitenden Rettungsdienst. Handlungsbedarf bestand schon lange, denn gut 25 Jahre nach der Öffnung der Grenze war das Thema nicht geregelt: Offiziell durften die Rettungswagen nicht über die Grenze - schon alleine der Medikamente wegen, die sie an Bord haben. Stößt einem deutschen Bürger in Tschechien etwas zu, dann wird er derzeit im tschechischen Sanka an die Landesgrenze gebracht und dort in freier Natur umgeladen in einen deutschen Rettungswagen. Der transportiert ihn dann in eine deutsche Klinik. Drei bis vier Mal pro Woche kommt dies allein im Bereich des BRK-Kreisverbandes Tirschenreuth vor. "Unsere Rettungswagen fahren an die Grenzübergänge und übernehmen dort die Patienten", sagt BRK-Kreisgeschäftsführer Holger Schedl. Das Abkommen mache nun den Weg zu einem langfristigen Ziel frei. Und das lautet: Irgendwann einmal soll der Rettungswagen zum Einsatz kommen, der den kürzesten Weg hat - unabhängig von der Grenze. "Das Abkommen erleichtert in Zukunft die Zusammenarbeit auf beiden Seiten zum Wohle der Patienten", ist sich Thomas Ulbrich, der Geschäftsführer des BRK-Kreisverbands Wunsiedel, sicher. "Das ist ein Meilenstein einer optimalen und professionellen Organisation des Rettungsdienstes im Grenzraum", sagt Innenminister Herrmann. Nur durch organisiertes Management könnten Zeit gewonnen und Leben gerettet werden. Die Vereinbarung enthält Vorgaben für die Koordinierung grenzüberschreitender Rettungsdiensteinsätze. In der Praxis betrifft sie auf bayerischer Seite die Integrierten Leitstellen Hochfranken in Hof und Nordoberpfalz in Weiden sowie Amberg, Regensburg, Straubing und Passau.
Eine engere Zusammenarbeit gibt es auch zwischen deutschen und tschechischen Polizisten. Zum 1. Oktober ist ein neues Polizeiabkommen in Kraft getreten, um grenzüberschreitende Kriminalität besser zu bekämpfen.
Zwei Abkommen machen die Einsätze im Grenzgebiet zwischen Bayern und Böhmen einfacher. Für den gemeinsamen Weg sind aber noch viele Details zu klären.
Marktredwitz/Selb - Was ist, wenn wirklich einmal etwas passiert? Wer haftet? Wer bezahlt den Schaden? Das waren bange Fragen, mit denen sich Thomas Ulbrich, der Kreisgeschäftsführer des Roten Kreuzes im Landkreis Wunsiedel, bislang herumschlagen musste. Wenn ein deutscher Bürger per Notruf Hilfe angefordert hat, ist es nämlich schon jetzt immer wieder einmal vorgekommen, dass Rettungswagen aus den Wachen Selb oder Marktredwitz im Nachbarland Tschechien im Einsatz waren. "Das wurde von tschechischer Seite geduldet, aber geregelt war eigentlich nichts", sagt Ulbrich und konstruiert einen an sich ganz einfachen Fall: "Stellen Sie sich vor, unser Fahrzeug ist mit Blaulicht in Eger unterwegs, und es kommt an einer Kreuzung zu einem Unfall mit einem anderen Auto!"
Diese Sorgen hat der Mann vom Roten Kreuz jetzt nicht mehr: "Ab sofort ist es kein Problem, wenn unser Fahrzeug auf tschechischer Seite mit Sonderrechten unterwegs ist", sagt Ulbrich. Die Basis dafür ist die "Kooperationsvereinbarung über grenzüberschreitende Zusammenarbeit im Rettungsdienst", die der Freistaat Bayern mit den Bezirken Karlsbad, Pilsen und Südböhmen unterzeichnet hat. Blaulichtfahrten und Einsätze in Tschechien sind damit für die deutschen Retter im Nachbarland möglich. Das Fernziel jedoch geht nach den Schilderungen von Thomas Ulbrich wesentlich weiter: Langfristig soll es so sein, dass in Grenznähe der Rettungswagen losgeschickt wird, der den kürzesten Weg hat und somit am schnellsten für Hilfe sorgen kann - unabhängig von der Grenze.
Es wird noch eine ganze Weile dauern, bis das Normalität ist. Darin sind sich alle Experten einig. Eine Projektgruppe - angesiedelt in Furth im Wald - müsse nun reichlich Feinarbeiten leisten, betont Ulbrich. Das fängt bei Übersichtskarten mit den einzelnen Kliniken diesseits und jenseits der Grenze an und hört mit den Kommunikationswegen noch lange nicht auf. Dass dies alles kein einfaches Unterfangen angesichts der Sprachbarriere ist, zeigt schon ein Blick in den Artikel vier der Kooperationsvereinbarung: Dort ist der Einsatzablauf geregelt. Demnach muss im Falle eines Falles die eine Leitstelle bei der Leitstelle im anderen Land per Telefax mit einem zweisprachigen Vordruck das Rettungsfahrzeug der Nachbarn anfordern. Klingt zeitraubend. Thomas Ulbrich hat deshalb einen Wunsch: "Wir müssen uns auf die Einsatzsprache Englisch einigen." Das sieht als Praktiker auch Markus Hannweber, der Leiter der Integrierten Leitstelle Hochfranken in Hof, so. Der Anfang ist übrigens schon gemacht, im Rahmen eines EU-Projekts hätten bereits vor einiger Zeit Retter aus Hochfranken und aus Tschechien zusammen einen Englischkurs belegt.
Nicht nur die Retter beschreiten einen gemeinsamen Weg, auch die Polizei setzt auf das Miteinander: Zum 1. Oktober ist ein neues Polizeiabkommen zwischen Deutschland und Tschechien in Kraft getreten, um Polizisten aus beiden Ländern neue Möglichkeiten zur Bekämpfung grenzüberschreitender Kriminalität einzuräumen. Nach dem Abkommen können die Polizeien auch bei Ordnungswidrigkeiten kooperieren. Das ist wichtig, weil Tschechien den Konsum geringer Mengen Crystal als Ordnungswidrigkeit einstuft. Auf gemeinsamen Streifen sind deutsche und tschechische Kollegen künftig gleichwertige Partner, jeweils mit hoheitlichen Rechten. "Solche Streifen haben wir seit vielen Jahren bei Großereignissen und in der Schleierfahndung im Einsatz", berichtet Rudolf Hohenner, der Leiter der Polizeiinspektion in Selb. Das habe sich sehr bewährt. "Die Zusammenarbeit wird immer enger", sagt Hohenner. Das neue Polizeiabkommen sieht er als einen weiteren Schritt. "Wir vernetzen uns immer stärker."
Frankenpost, 05.10.2016 von Thomas Scharnagl